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Themenheft: Die großen Herausforderungen unserer Zeit: Ethik und/oder politische Theorie? (Facing Big Challenges: Ethics and/or Political Theory?)
hrsg. von: Lorina Buhr (Universität Hamburg)
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In einer Zeit vielfältiger globaler und die Gesellschaft durchdringender Herausforderungen wie der Klima- und Umweltkrise, der Digitalisierung oder der Fragmentierung liberaler Gesellschaften sind kritische normative Kompetenzen, die Institutionen und Individuen Analyse- und Orientierungsangebote machen, stark gefragt. Es geht um Gesellschaftsanalyse, Gegenwartsdiagnose, öIentliche Deliberation und Politikberatung. Aus dem Wissenschaftssystem empfehlen sich mehrere Disziplinen und Theorieahmen zur Unterstützung – zu denken ist etwa an Soziologie, Theologie, Gesellschaftstheorie, Ethik, Politische Theorie und Philosophie.
Das Themenheft nimmt sich zur Aufgabe das Verhältnis zwischen Angewandter Ethik als problembezogenen und interdisziplinären Theorierahmen und diskursives Praxisfeld und politischer Theorie und Philosophie angesichts der großen Herausforderungen der Zeit zu diskutieren. Beide, Ethik und Politische Theorie, operieren auf einem dreifachen Spielfeld: Sie bieten (1) deskriptive Beschreibungen von Phänomenen an verschiedenen Nexus von Gesellschaft-Technik-Medien-Umwelt-Gesundheit, (2) sie leisten kritische, d. h. auf Werten, Prinzipien oder normativen Standpunkten basierende Analysen und Reflexionen, (3) sie entwerfen Entwürfe eines guten Lebens und gerechter Gesellschaften und der dafür notwendigen Bedingungen.
Das Verhältnis von Ethik und politischer Theorie, einschließlich kritischer Theorie und politischer Philosophie, ist auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Bereichen und in verschiedenen Formen immer wieder befragt worden. Für die jüngere Vergangenheit lassen sich u. a. verzeichnen:
– Die Frage des Primats: Der fast schon traditionelle Austragungsort, locus classicus, der Verhältnisbestimmung der Theorietypen ist die methodologische Diskussion um das Primat der Moral vor der Politik oder der Umkehrung der Priorisierung in der methodologischen Diskussion um ideale und nicht-ideale politische Theorie.
– Die Frage der Berührung und Interaktion von Ethik (und Moralphilosophie) mit der kritischen Theorie und/als Gerechtigkeitstheorie. Hier haben gerade Vertreter:innen der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule immer wieder versucht, Berührungen, Überschneidungen und Divergenzen zu markieren und auszuloten, so z. B. jüngst Rainer Forsts Entwurf einer Theorie der Rechtfertigung und die Analyse von Rechtfertigungsordnungen (Forst, 2015; Bassiouni et al. 2024).
– Die Forderungen, angewandte Ethiken um Kritische Theorie/Elemente politischer Theorie anzureichern, um die ethischen Blickwinkel kritischer gegenüber der Durchmachtung und ökonomischen Prägung gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen zu machen, so z. B. im Bereich der Medizinethik (Rubeis, 2024).
– Die programmatische Deutung von Ethik als kritische Theorie, wie es aktuell in den Bereichen der Ethik der Künstlichen Intelligenz (Ethics of AI) zu beobachten ist. Das Versprechen liegt hier in einer strukturellen Analyse und ideologiekritischen Stellungnahme, die über eine ethische Abwägung von ‚Chancen und Risiken‘ und die Produktion von ‚ethischen Empfehlungen‘ hinausgeht (bzw. diese kritisch vertieft). Siehe zum Beispiel die Vorschläge von van Waelen (2022), Schütze (2024).
– Die Frage nach der Konkurrenz: Auf die Fragen der Umwelt- und Klimakrise haben sowohl die Ethik mit dem Format der Umweltethik als auch - deutlich zeitverzögert - die politische Theorie mit dem Format des ‚Green Political Thinking‘ reagiert. Beide scheinen jedoch sowohl im Umweltdiskurs und der in den 1970er Jahren aufkommenden Umweltbewegung als auch im Anthropozän-Diskurs eher konkurrierend oder einander ignorierend aufzutreten. Ähnlich verhält es sich mit der Frage nach der kritischen Stellungnahme zum Stand und sozialen Status nicht-menschlicher Tiere. Hier konkurrieren Tierethik und eine politische Theorie bzw. Philosophie von Tierrechten (Ladwig 2020; Donaldson/Kymlicka 2023) um wirkungsvolle Entwürfe für rechtfertigbare gesellschaftliche Verhältnisse von menschlichen und nicht-menschlichen Tieren. Eine ähnliche Beobachtung lässt sich für die Deutung und Verankerung von Rechten der Natur machen: als primär ethisch oder sozial-rechtlich (Wesche 2023).
– Die Frage der Kombination in größeren Theorie- und Praxisrahmen: Darüber hinaus werden Angewandte Ethik und Politische Theorie, insbesondere Gerechtigkeits- und Demokratietheorie, in größeren Theorie- und Beratungsangeboten zusammengeführt, wie etwa im Format der Technikfolgenabschätzung (Lenk, Ropohl, Grunwald).
– Politik und Ethik aus feministischen Perspektiven. Und schließlich wird das Verhältnis von Ethik (vor allem in der Frage nach [der] Verantwortung) und Politik in feministischen Analysen und Theorierahmen ausgelotet (zum Beispiel bei Karen Barad, Donna Harway, Jane Bennett).
Das Themenheft widmet sich diesem immer wieder neu zu verhandelndem Verhältnis von Ethik (ethischer Theorie, Angewandten Ethiken) und politischer Theorie angesichts der großen Herausforderungen der Zeit.
Die Beiträge können das ganze Spektrum und unterschiedliche Abstraktionsgrade adressieren:
• Auf der Ebene meta-theoretischer und metaphilosophischer Diskussion und Positionierung zu den Theorietypen, ihrer Theorie-Praxis-Übergänge, ihrer Priorisierung, Hierarchisierung und Verbindung (z. B. in der ‚politischen Ethik‘);
• anhand konkreter Fragen, Fälle oder themenspezifischer Bereiche, bevorzugt zu den Themen Medizin/Gesundheit, Umwelt/Klima, Technologieentwicklung;
• Angewandte Ethik und politische Theorie als Gegenstand und Ort in der Gesellschaft, z. B. mit Fokus auf die Institutionalisierung von Ethik und Moral in der Gesellschaft über Komitees, Expertisen und Stellungnahmen (Gehring 2025);
• Angewandte Ethik und politische Theorie als Akteure und Agenten der Politikberatung: Welche Disziplinen oder disziplinäre Kooperativen sollten sich politikberatend einbringen? Inwiefern ist „Angewandte Ethik ein Politikum“ (Kettner 2000)?
Abstracts im Umfang von max. 3000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) sind bis zum 15.06.2025 an die Herausgeberin des Themenheftes Lorina Buhr zu senden. Ein Feedback erfolgt bis zum 15.07.2025. Die fertigen Beiträge (Länge: 60.000 inkl. Leerzeichen) sind bis zum 03.12.2025 einzureichen. Die Auswahl für den Druck unterliegt einem Begutachtungsverfahren.
Für Rückfragen steht die Herausgeberin gerne zur Verfügung.
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Stand: 06.05.2025